Der Nabel und die Abnabelung beim Kalb
Der Nabel
Physiologie und Pathologie des Nabels und der Abnabelung beim Rind
Die Nabelschnur bzw. der Nabelstrang verbindet den fetalen Teil der Plazenta mit dem Nabel des Kalbs und ist mit einer Länge von ca. 35 cm relativ kurz. In der Nabelschnur verlaufen der Urachus sowie die beiden Nabelvenen und Nabelarterien, eingebettet in gallertige Gewebe (Warthonsche Sulze). Die äußere Hülle des Nabelstrangs wird von der sogenannten Amnionscheide gebildet (Bild 1+2). Als Nabel bezeichnet man die Öffnung in die Bauchdecke, durch welche die Nabelgefäße und der Urachus verlaufen. Zwischen innerem Nabelring oder Nabelpforte, dies ist ein ovales Loch in der Linea alba (Bild 3), und äußerem Nabelring/Nabelpforte (dies ist der Austritt der Nabelgefäße in der Haut) werden Gefäße und Urachus von einer Abspaltung der Rektusscheide röhrenförmig umgeben. Dieser Teil des Nabelstrangs vernarbt und bleibt als mit kutaner Haut überzogener sogenannter Haut- oder Bauchnabel auch beim adulten Tier bestehen.
Nabelstrukturen mit Nabelvenen und Nabelarterien (dickwandig). Urachus andeutungsweise erkennbar (Bild1-schwarze Linie). Nabelstrang nur noch teilweise von Nabelhaut (Amnionscheide) umgeben.
Die Nabelarterien entspringen beidseits am Beckeneingang aus der jeweiligen Arteria iliaca interna (Bild 3). Die Gefäßwand ist dicker und derber als bei den Nabelvenen. Die beiden Arterien verlaufen seitlich der Harnblase in den breiten Harnblasenbändern und werden im weiteren Verlauf bis zum inneren Nabelring von einer peritonealen Doppellamele (Serosaschlauch) umgeben (Bild3+4).
Bild 3: Verlauf der abgenabelten Nabelarterien. Sie ziehen sich bis auf Höhe der Harnblase zurück.
Bild 4: Ursprung der Nabelarterien (A. iliaca.int.).
Die beiden Nabelvenen vereinigen sich am inneren Nabelring in einer sinusförmigen Erweiterung zur Vena umbilicalis, die nach kranial zur Leber führt und in die Vena portae mündet (Bild 5+6). Urachus und Nabelvenen sind am inneren Nabelring (Pforte) fixiert, während die Nabelarterien auch am Durchtritt durch den Nabelring beweglich bleiben. Video “Nabelarterien beweglich-Nabelvenen fix“
Bild 5: Nabelstrukturen intraabdominal. Vereinigung der beiden Nabelvenen in einer sinusartigen Erweiterung.
Bild 6: Verlauf der V. umbilicalis zur Leber.
Der Urachus verläuft als embryonaler Harngang vom Harnblasenpol weg durch die Bauchhöhle und über den Nabelstrang nach Außen in die Allantoisblase. Er liegt zwischen den beiden Nabelarterien in einer peritonealen Doppellamelle mit kapillarem Spalt (Bild 7).
Bild 7: Darstellung Urachus.
Bild 8: Innere Nabelstrukturen.
Bild 9: Innere vernarbte Nabelpforte bei älterem Kalb.
Abnabelung
Die Abnabelung bedeutet das Reißen der Nabelschnur meist eine Handbreit vom Hautnabel des Kalbs entfernt sowie die beginnende Involution der Nabelgefäße (Arterien).
Die Amnionscheide bleibt am Hautnabel als Nabelstrang der einzig sichtbarer Überrest des fetalen Nabelstranges. Die Nabelarterien reißen distal der Nabelöffnung. Durch Kontraktion der dicken elastischen Gefäßwand kommt es zum Verschluss und durch ihre Beweglichkeit im Nabelring und weiterer Kontraktion gleiten die beiden Arterienstümpfe sodann weit in die Bauchhöhle bis auf Höhe der Harnblase zurück (Bild10, Video “Nabelarterien beweglich-Nabelvenen fix“).
Bild 10: Innere Nabelstrukturen nach Abnabelung. Nabelarterien haben sich bis Harnblase zurückgezogen und verlaufen gemeinsam mit Urachus in einem Serosaschlauch.
Nabelvenen und der Urachus reißen meist in Höhe des inneren Nabelrings, da sie dort verwachsen sind. Die Nabelvenen werden ebenfalls durch Kontraktion der elastischen Wand sowie durch Blutthromben und der Urachus von einer Adventitiafalte verschlossen. Auch bei Nabelvenen und Nabelarterien ragt die äußere Gefäßadventitia (tunica externa) zipfelmützenförmig über die Enden und sorgt so für zusätzlichen Verschluss (Bild 11).
Bild 11: Nabelarterie. Die äußere Gefäßadventitia (tunica externa) ragt zipfelmützenförmig über das Ende.
Die Überreste der Nabelvenen verbleiben innerhalb des Hautnabels (zwischen innerem und äußerem Nabelring) und verschwinden im Rahmen des dort beginnenden Vernarbungsprozesses. Die Rückbildung des Urachus hinterlässt am Blasenpol, der Einmündung des Urachus, eine Narbe, die als Urachusnabel bezeichnet wird (Bild 12). Präformierte Rissstellen an den Gefäßen können nicht sicher nachgewiesen werden.
Bild 12: Urachusnabel. Zurückgebildete Einmündung des Urachus in die Harnblase bei älterem Kalb.
Die äußerlich sichtbare Nabelschnur besteht physiologischer Weise nur aus dem Rest der Amnionsscheide gefüllt mit Warthonscher Sülze sowie mit den im Rahmen der Abnabelung ausgetretenen Blutresten. Die Nabelarterien sollten sich in den Bauchraum zurückgezogen haben und Nabelvenen und Urachus direkt an der Verwachsungsstelle in der Nabelpforte abgerissen sein. Die dünne Haut der Nabelschnur trocknet innerhalb von wenigen Tagen ein (Bild 13).
Bild 13: Eingetrocknete Nabelschnur ca. 10 Tage nach der Geburt. Durch Eintrocknung ungünstiger Nährboden für Bakterien.
Pathologie
a) Nabelbruch (Hernia umbilicalis):
Als Nabelbuch wird die Ausstülpung von Eingeweiden (Darm, Netz, Labmagen) durch die unphysiologisch weite Nabelpforte in einen aus Haut und Peritoneum bestehenden Bruchsack bezeichnet. Bei sehr kleinen Brüchen kann nur Bauchhöhlenflüssigkeit in den Bruchsack vordringen. Sehr viele kleinere Nabelbrüche verwachsen in der Regel mit zunehmenden Alter und sind nach einigen Monaten nicht mehr nachweisbar.
Bild 14: Sehr großer Nabelbruch.
b) Nabelstrangbruch (Hernia funiculi umbilicalis):
Als Nabelstrangbruch wird der Vorfall von Baucheingeweiden (fast immer Jejunumschlingen) in die Nabelstrangscheide bzw. Nabelschnur bezeichnet. Der Bruchsack des Nabelstrangbruches besteht aus der Amnionscheide und einer Peritonealausstülpung. Bleibt die Nabelstranghülle intakt, erscheint vom Nabel ventral ein meist fautsgroßer Sack mit Darminhalt. Der Bruchsack ist von Amnionscheide überzogen und wird als geschlossener Nabelstrangbruch bezeichnet (Bild 15-19).
Bild 15
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Bild 18
Bild 19
Bilder 15-19: Geschlossener Nabelstrangbruch.
Reißt die Hülle und kommt es dabei zum Austritt von Darmschlingen spricht man von einem offenen Nabelstrangbruch oder von einem „offenen Nabel“ (Bilder 20-21). Hier drohen Verschmutzungen mit Stroh und Schmutz aus dem Geburtsumfeld. Eine erste Maßnahme durch den Landwirt muss sofort der Versuch sein, die Gedärme vor Schmutz und Verletzungen zu schützen.
Bild 20
Bild 21
Bilder 20-21: Offener Nabelstrangbruch. Bruchsack des Nabelstrangbruches ist gerissen.
Sowohl bei geschlossenem wie auch bei offenem Nabelstrangbruch muss sofort operiert werden (Bilder 22-25)! Grundsätzlich brauchen auch Tiere mit Verschmutzungen und den immer feststellbaren hämorrhagisch-fibrinösen Veränderungen auf der Serosa des Darmes nicht aufgegeben werden. Während der Operation können manchmal Gewebespangen zwischen der Innenwand des Bruchsackes und dem Darmgekröse festgestellt werden. Sie werden mit einem Scherenschlag vom Gekröse getrennt. Richtige Narkose, Rasur, geduldiges und gründliches Reinigen der einzelnen Darmschlingen und großzügige Erweiterung der Bauchpforte sind eine gute Voraussetzung für weitere Komplikationsfreiheit. So konnte in der Praxis ein Kalb mit einem mit Gerstengrannen übersäten Darmkonvolut nach zwar mühsamer Reinigung durch die Operation ohne weitere Probleme gerettet und eine normale Entwicklung ermöglicht werden.
Bild 22
Bild 23
Bilder 22-23: Operation geschlossener Nabelstrangbruch. Nach Eröffnung des Bruchsackes sind immer wieder Gewebespangen zwischen der Innenwand des Bruchsackes (Peritoneum) und dem Darmgekröse nachweisbar. Sie werden darmnah durchtrennt.
Bild 24: Operation Nabelstrangbruch. Bruchsack des Nabelstrangbruches muss entfernt werden.
Bild 25: Operation eines Nabelstrangbruches. Der Bruchsack wurde eröffnet, die Bruchpforte erweitert und der Darm reponiert. Der Bruchsack muss noch abgesetzt werden.
c) Urachusfistel:
Man spricht von einer Urachusfistel, wenn der Urachus sich nach der Abnabelung nicht verschließt und die Verbindung zwischen Harnblase und Nabel offen bleibt. In der Folge setzt das Kalb einen Teil des Harns über den Urachus nach außen über den Nabel ab. Die Nabelschnur betroffener Kälber ist stets feucht, ebenso sind die Haare in der Umgebung des Nabels auffallend nass. Eine Nabelschnur, die nach einer Woche noch nass ist, deutet eindeutig auf eine Urachusfistel hin. Es besteht die große Gefahr einer aufsteigenden Infektion mit dem Befall umgebender Strukturen (Urachitis bzw. Omphaloarteritis).
d) Abreißen der Nabelschnur am Hautnabel:
Durch das Wegfallen der Schutzfunktion der Amnionscheide liegt der äußere Nabelring wie eine Wunde völlig offen (Bilder 26-27). Die Stümpfe der Nabelvenen und des Urachus sind gefährliche Eintrittspforten für die Entzündungserreger.
Bild 26
Bild 27
Bilder 26-27: „Ausgerissener Nabel“. Schutzfunktion der Amnionscheide fällt weg. Verschmutzung der offenen Wunde und der Nabelvene. „Offene Wunde“.
e) Nabelblutungen:
Im Rahmen der Abnabelung kommt es durch Kontraktion der elastischen Gefäßwand der beiden Nabelarterien zu einem Rückzug des Gefäßstumpfes in den Bauchraum und zu einem durch diese Kontraktion ausgelösten Verschluss der durch den Abnabelungsriss eröffneten Arterien. ( Video “Nabelarterien beweglich-Nabelvenen fix” ) Ist dieser Verschluss jedoch unvollständig, so kann es zu mehr oder weniger starken Nachblutungen kommen, die bis zum Verblutungstod führen können. Nabelblutungen können nach außen (sichtbar) und /oder nach innen (unsichtbar) erfolgen. Die Blutungen nach außen können sowohl aus Venen als auch aus Arterien kommen. Betroffene Kälber mit äußeren Nabelblutungen sind leicht zu erkennen. Kälber mit inneren Nabelblutungen, sie bluten immer aus der Nabelarterie, sind primär völlig symptomlos. Sie zeigen in den ersten Stunden post partum völlig normale Vitalität und Trinklust zeigen. Erst nach Stunden kommt es je nach Verlaufsform und Blutungsstärke zu zunehmender Schwäche und Anämie bzw. zu unerklärlichen plötzlichen Todesfällen mit Schreien und Verenden der Tiere. Im Bauch findet man hier große Blutmengen im Bereich peritonealen Hülle der Nabelarterien (im Serosaschlauch). Es handelt sich um ein periarterielles Hämatom (Bild 28-33). Die Verblutung nach innen kann symptomlos oder mit Blutaustritt aus dem Nabel meist erst in der Endphase durch den Druckanstieg in der Peritonealscheide der Arterien verlaufen. Neugeborene, primär vitale Tiere mit plötzlicher Anämie, Untertemperatur und Schwäche deuten auf eine innere Blutung hin und müssen sofort operiert werden.
Bild 28: Verblutung aus Nabelarterien in die Bauchhöhle. Bauchhöhle noch durch Peritoneum und M. transversus (bzw. Fascie des M. transversus) verschlossen.
Bild 29: Verblutung aus Nabelarterien in die Bauchhöhle. Blutkoagula in Bauchhöhle.
Bild 30: Verblutung aus Nabelarterien in die Bauchhöhle. Blutkoagula im Serosaschlauch der Nabelarterien und des Urachus.
Bild 31: Innere Verblutung aus Nabelarterien in den Serosaschlauch.
Bild 32: Innere Verblutung aus Nabelarterien in freie Bauchhöhle.
Bild 33: Stärkere Nachblutung aus Nabelarterien. Ist an der Grenze zum Physiologischen.
Bild 34: Kalb gestorben an innerer Verblutung aus den Nabelarterien. Anämie der Bindehäute und eingesunkene Augen.
f) Persistenz einzelner oder aller Arterien und Venen im abgerissenen Nabelstrang („Strangkalb“):
Man findet 1 oder 2 Nabelarterien, wegen mangelhaften Zurückgleitens in die Bauchhöhle, und/oder 1-2 Nabelvenen, wegen Abreißens außerhalb des äußeren Nabelrings im Nabelstrang aus dem Nabel hängend. Diese Gefäßstümpfe (Arterien erkennbar an dicker Wand) neigen einerseits zu Nachblutungen, sind aber andererseits bei falscher Handhabung eine fast 100%ige Eintrittspforte für Entzündungserreger. Durch verzögerte Eintrocknung bilden sie viel länger einen willkommenen Nährboden für ein buntes Spektrum an Erregern, allen voran Arcanobacterium pyogenes (Bild 35-36).
Bild 35: Strangkalb. 2 Nabelarterien und 1 Nabelvene.
Bild 36: Strangkalb: Nabelarterie hat sich nicht in den Bauch zurückgezogen. Infektion durch schlechte Austrocknung der dickwandigen Nabelarterien. Feuchtes Gewebe ist idealer Nährboden für Bakterien.
g) Nabelentzündung:
Die aus allen entzündlichen Vorgängen um den Nabel entstehenden Symptomenkomplexe unterteilt man in extraabdominale und intrabdominale Nabelentzündungen. Die extraabdominalen oder auch nicht aszendierenden Nabelentzündungen werden in Omphalitis phlegmonosa und Omphalitis apostematosa (Nabelabszess) unterteilt.
Die intraabdominalen oder auch aszendierenden Nabelentzündungen differenziert man in Omphalophlebitis, Omphaloarteritis, Urachitis und infiziertes periarterielles Hämatom.
Aszendierende Infektionen können nur in der Anfangsphase über längere Antibiotikaapplikation geheilt werden; meist ist eine chirurgische Intervention zur Wiederherstellung einer wirtschaftlichen Entwicklung des Tiers notwendig.
In vielen Fällen ist eine differentialdiagnostische Einschränkung der im Rahmen von Nabelentzündung möglichen Diagnosen durch tiefe Palpation der Bauchhöhle möglich.
Viele Leberabszesse (einzelne oder multiple) sind auch die Folge einer aszendierenden Entzündung der Nabelvene bzw. Infektion der im Venenlumen befindlichen Blutthromben mit Eitererregern.
Bild 37: Aszendierende Nabelentzündung vor der Operation.
Bild 38: Aszendierende Omphalophlebitis während Operation. Massive entzündliche serös-schwartige Zubildungen der Vena umbilicalis.
Bild 39: Aszendierende Omphaloarteritis, Urachitis und Omphalitis phlegmonosa nach chirurgischer Extirpation. Mit dem entzündeten Urachus wird der veränderte Blasenpol mit entfernt und die Blase mit einer Einstülpungsnaht verschlossen.
Bild 40: Multiple Leberabszesse nach aszendierender Omphalophlebitis.